Die Sammlung Zander
Die Sammlung Zander ist gemeinnützig. Sie wurde in mehr als 60 Jahren von Charlotte Zander (1930 – 2014) aufgebaut und ist eine der führenden Sammlungen für die Kunst von Autodidakt:innen, der sogenannten „Naiven Kunst“ und „Outsider Art“. Während die Kunst von Autodidakt:innen in den meisten großen Museen der Welt nicht oder nur unterrepräsentiert vertreten ist, erkannte Charlotte Zander schon früh die Qualität dieser sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen und ließ sich nicht vom gängigen westlichen kunsthistorischen Kanon beirren, der nicht-akademische Kunst weitgehend ausblendet.
Ziel der Sammlung Zander ist es, die Kunst von Autodidakt:innen sichtbar zu machen, damit sie als Teil der Kunstgeschichte neu erforscht, kontextualisiert und bewertet werden kann. Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen, Kurator:innen und Wissenschaftler:innen soll ein Beitrag zur beginnenden Neuschreibung des kunsthistorischen Kanons geleistet werden, durch den Kunstgeschichte globaler, diverser und multiperspektivischer erzählt wird. Im Ausstellungsraum der Sammlung Zander werden regelmäßig Arbeiten von namhaften, unbekannten oder vergessenen Künstler:innen in Einzel- oder Gruppenausstellungen gezeigt, um Einblicke in die Sammlung zu geben.
Kunst der Avantgarde
Die Künstler der Moderne waren auf der Suche nach Gegenwelten. Außereuropäische Kunstwerke, Malerei von Kindern oder psychisch Kranken und auch die Kunst der Autodidakten wurden für sie zum geistigen Jungbrunnen jenseits akademischer Normen. Ihrer Sehnsucht nach unverbildeter Ursprünglichkeit entsprachen Werke von Autodidakten wie Henri Rousseau, Séraphine Louis, André Bauchant, Camille Bombois oder Louis Vivin, die mit einzigartigen Konvoluten in der Sammlung Zander vertreten sind. Keiner dieser Künstler hat an einer Kunstakademie studiert, alle gingen anderen Berufen nach, waren Zöllner, Putzfrau, Gärtner oder Postbeamter. Vor allem Henri Rousseau stand im Mittelpunkt der Pariser Avantgarde. 1886 stellte er erstmals im Salon des Indépendants in Paris aus. Zunächst wurden seine Arbeiten noch verspottet, aber ein Kritiker lobte bereits die Originalität der Werke, die “in ihrer Naivität an die italienischen Primitiven der Frührenaissance erinnert“. Künstler und Schriftsteller wie Paul Gauguin, Alfred Jarry, Pablo Picasso oder Robert Delaunay waren von Rousseaus Werk begeistert. Bald wurde der deutsche Kunsthändler Wilhelm Uhde auf ihn aufmerksam, eine der Schlüsselfiguren der Avantgarde. Er sammelte Picasso und Braque und förderte ihre Arbeit ebenso wie die des Zöllners Rousseau, über den er 1911 eine Monografie verfasste. Uhde entdeckte auch die anderen großen Naiven: Séraphine Louis und nach den Wirren des Ersten Weltkriegs André Bauchant, Camille Bombois und Louis Vivin. Die Kunst der Naive und ihre Wechselwirkung mit den Künstlern der Avantgarde wurde zum Thema von zahlreichen Ausstellungen in Europa und den USA.
Autodidakten in den USA
So wichtig wie Uhde in Paris, war Alfred H. Barr in New York. Der Gründungsdirektor des Museum of Modern Art hatte beginnend mit dem Jahr 1933 eine Ausstellungstrilogie gezeigt, die verschiedene Strömungen der Moderne untersuchte: Kubismus und Abstraktion, Dada und Surrealismus und schließlich 1938 „Masters of Popular Paintings“, in der neben Arbeiten der französischen Naiven auch Gemälde des Schweizers Adolf Dietrich und amerikanische Autodidakten wie John Kane und Horace Pippin zu sehen waren. 1943 fand im MoMA eine Einzelausstellung mit Gemälden von Morris Hirshfield statt, dessen Werk u.a. von Piet Mondrian geschätzt wurde. Auch andere aus Europa in die USA immigrierte Künstler wie Marcel Duchamp, Max Ernst oder André Breton waren fasziniert von den Gemälden Hirshfields und zeigten ihn in der Ausstellung „First Papers of Surrealism“.
Künstlerkunst
Überall waren es die führenden Köpfe der Avantgarde, die sich für das Werk von Autodidakten einsetzten. Nikolej Pirosmanaschwili fand Wertschätzung bei Künstlern der russischen Avantgarde, Alfred Wallis wurde von Ben Nicholson und Christopher Wood unterstützt und in ihre Künstlerkolonie in St. Ives aufgenommen. In Deutschland schätzten Künstler des „Jungen Rheinland“ wie Otto Dix oder Otto Pankok das Werk von Adalbert Trillhase und Adolf Dietrich. Ludwig Justi, Direktor der Berliner Nationalgalerie, kaufte 1930 zwei Bilder von Dietrich für die Nationalgalerie an und widmete in seiner Publikation „Von Corinth bis Klee – Ein Rundgang durch die Berliner Nationalgalerie“ den „Ungelernten“ ein eigenes Kapitel. Die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Folgen des Nationalsozialismus auf die Kunst der Avantgarde beendeten diese Entwicklungen jedoch jäh. Zwar versuchte Werner Haftmann mit der documenta im Jahre 1955 den Faden wieder aufzunehmen, um „die Entwicklung und Verflechtung der europäischen Kunst“ aufzuarbeiten und zeigte Werke von Henri Rousseau, Camille Bombois, Louis Vivin und Séraphine Louis, aber das hatte keine Auswirkung auf die Ausstellungspraxis und Sammlungspolitik der kommenden Jahrzehnte.
Ein eigener Weg
Ungeachtet dessen hat Charlotte Zander Ende der 1950er Jahre begonnen die Kunst der Naive zu sammeln. Alle bedeutenden Vertreter dieser Kunst, von Henri Rousseau über Morris Hirshfield und Adalbert Trillhaase bis zu Nikifor und Alfred Wallis, sind mit zum Teil einzigartigen Werkgruppen vertreten. Ab Mitte der 1960er Jahre hat sie ihr Sammlungsgebiet ausgeweitet und begonnen auch Werke der Art Brut zu sammeln: Klassiker wie Adolf Wölfli, Madge Gill und Carlo Zinelli oder die Künstler aus Gugging. Auch sie bewegen sich jenseits akademischer Normen. Mit dem Unterschied, dass Art Brut Künstler stärker ihren inneren Kosmos zum Ausdruck bringen und eigenweltlichen Visionen folgen.