Große Kooperation zur Kunst der Autodidakt:innen und Outsider Art in Köln. Kunst- und Museumsbibliothek und ZADIK erhalten bedeutende Schenkungen der Sammlung Zander
1997 erhielt Charlotte Zander als erste Frau den ART COLOGNE-Preis für ihr beeindruckendes Engagement für die „Naive Kunst“. 28 Jahre später werden in einem Dreiklang die Dokumentation und Forschung rund um die Kunst der Autodidakt:innen und die Outsider Art in Köln nachhaltig verankert: Im Herbst letzten Jahres hat die gemeinnützige Sammlung Zander einen Ausstellungsraum in Köln eröffnet, in dem regelmäßig Ausstellungen mit Werken aus der Sammlung stattfinden. Susanne Zander spendet nun die international einzigartige Spezialbibliothek zum Themenfeld der Sammlung Zander der Kunst- und Museumsbibliothek Köln (KMB), diese ist ab sofort dort für Recherchierende nutzbar. Das Archiv von Charlotte Zander als Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin schenkt sie dem ZADIK, wo es für die Forschung erschlossen wird. Geplant ist eine Themenausstellung des ZADIK für das Jahr 2025.
Nadine Oberste-Hetbleck, ZADIK-Direktorin, freut sich: „Mit dem umfangreichen Archivbestand zur Arbeit von Charlotte Zander besitzt das ZADIK nun einen hochkarätigen Quellenfundus, der Einblicke seit Beginn ihrer Sammlungsaktivitäten in den 1950er Jahren gibt. Da sie ihre persönliche Leidenschaft auch zum Beruf machte und als Galeristin sowie später als Museumsgründerin in Erscheinung trat, können wir anhand des Archivs auch Informationen zu den internationalen Netzwerken des Handels und der Museen zur ‚Naiven Kunst‘ erhalten.“
Susanne Zander, Geschäftsführerin der Sammlung Zander, ist überzeugt, dass durch die Schenkungen neue Möglichkeiten für die Forschung und Sichtbarkeit der Kunst der Autodidakt:innen und Outsider Art geschaffen wurden: „Es ist ein Ziel unserer Arbeit mit der Sammlung Zander, die akademische Auseinandersetzung mit dieser Kunst zu ermöglichen und zu fördern. Wir wollen Köln als zentralen Standort für diese Forschung etablieren. Die Schenkung, die auch meine persönliche umfangreiche Bibliothek zur sogenannten Outsider Art umfasst, ist ein Schritt dahin. Wir entwickeln außerdem mit der Sammlung neue Projekte, die unsere Ausstellungen diskursiv und wissenschaftlich erweitern und verhandeln.“
Elke Purpus, Direktorin der KMB, lädt alle Interessierten zur Recherche ein: „Wir konnten bereits 2.449 Publikationen in unserem Online-Katalog erfassen – die Arbeiten sind so gut wie abgeschlossen. Wir freuen uns auf zahlreiche Nutzer:innen der Bibliothek Zander.“
Das Modell, Archiv und zugehörige Spezialbibliothek in Köln zu verankern, haben das ZADIK und die KMB bereits in mehreren Fällen erprobt und sehen dies als zukunftsweisendes Konzept: „Ein kurzer Weg liegt nur zwischen den beiden Institutionen, der Forscher:innen bestmögliche Zugänge zu zusammenhängenden Beständen ermöglicht: Das möchten wir weiter ausbauen.“
03 AUSSTELLUNG
Emma Stern
31.08.24 – 25.01.25
Öffnungszeiten: Samstag, 31.08. von 13 – 19 Uhr und Sonntag, 01.09. von 13 – 17 Uhr
Emma Stern malt aus ihrer Erinnerung: den Markt in Lebach, die Apfelernte oder ein Dorffest, Szenen ihrer Kindheit und Jugend – „ihre glücklichen Zeiten“, wie sie selbst sagt. Immer wieder füllen Blumen in leuchtenden Farben die gesamte Bildfläche. Die Bilder bezeugen ihre große Liebe zur Natur und zeigen die Gemeinschaft, in der sie lebte und deren Teil sie war. Eine Ausnahme ist das Gemälde Exodus, das den Zusammenbruch des vermeintlichen Idylls symbolisiert: Es stellt die Flucht der Jüdinnen und Juden aus Paris beim Einmarsch der Deutschen im Jahr 1940 dar.
Emma Stern wird 1878 als Emma Daniel in St. Wendel im Saarland geboren. Ihre Eltern betreiben dort ein Textilfachgeschäft. Mit 18 Jahren heiratet sie und eröffnet zwei Jahre später gemeinsam mit ihrem Mann Julius Stern eine Dependance des elterlichen Geschäfts im nahe gelegenen Lebach. Sie bekommen vier Kinder: Betty, Kurt, Paul und Ruth. Betty, die älteste Tochter, stirbt mit zwei Jahren. Julius und der 16-jährige Sohn Kurt werden 1916 während des Ersten Weltkriegs zum Militärdienst an der Front einberufen. Beide kehren 1918 aus dem Krieg zurück. Ihr Mann erliegt zwei Jahre später den Folgen eines Kriegsleidens. Von da an führt sie das Geschäft gemeinsam mit ihren Kindern.
Nach der Saarabstimmung 1935, gezwungen durch die zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung und den wirtschaftlichen Boykott, verkauft Stern das Warenhaus. Die Familie wird auseinandergerissen und muss Deutschland verlassen.
Stern flüchtet nach Paris. Kurt und seine Frau emigrieren zunächst nach Palästina, wo sie den Holocaust überleben. Paul flüchtet ebenfalls nach Frankreich, wird aber auf der Flucht verhaftet und 1944 mit dem Convoi 77, dem letzten Zug von Drancy nach Auschwitz, deportiert. Noch im selben Jahr wird er dort von den Nationalsozialisten ermordet. Ruth zieht schon 1930 nach Frankreich. 1940 wird sie verhaftet und im französischen Lager Gurs interniert. Im selben Jahr gelingt es ihr, aus dem Lager zu flüchten. Wahrscheinlich hat sie Kontakt zur Résistance und überlebt die Besatzung der deutschen Wehrmacht im Untergrund. Stern und ihre Tochter Ruth leben auch nach Kriegsende in Paris – an die Rückkehr nach Deutschland ist nicht zu denken.
Ruth ist Künstlerin, und während eines gemeinsamen Urlaubs in Südfrankreich 1948 greift Emma Stern zu den Malutensilien der Tochter. Hier, im Alter von 70 Jahren, beginnt ihr Leben als Künstlerin. Schnell entwickelt sie ihren eigenen Stil. Sind die Bilder anfangs noch in zarten Farben gehalten, die sie vorsichtig und sorgsam auf die Leinwand aufträgt, wird Stern rasch mutiger: Sie mischt kräftigere Farbtöne, die sie pastos und in mehreren Schichten verwendet – so verleiht sie ihren Werken eine besondere Tiefe.
Als Assistentin von Daniel-Henry Kahnweiler und Mitarbeiterin im Atelier von Fernand Léger bewegt sich ihre Tochter Ruth Stern-Salzmann in den Pariser Künstlerkreisen und knüpft Netzwerke. Bald ist auch Emma Stern dort präsent, über ihre Arbeiten wird gesprochen. Jean Dubuffet ist der Erste, der ihre Werke 1954 innerhalb einer Gruppenausstellung in der Pariser Galerie René Drouet ausstellt. In den 1960er- und 1970er-Jahren werden ihre Arbeiten regelmäßig in Galerien gezeigt, in Paris unter anderem von Bassano, Charpentier und Delpire und in Köln von Aenne Abels. Es folgen institutionelle Gruppenausstellungen in Mannheim, München und Zürich.
Mehrere Filmporträts widmen sich der bemerkenswerten Künstlerin. Der dokumentarische Kurzfilm Le temps d’Emma, der 1964 unter der Regie von Liliane de Kermadec gedreht und von Robert Delpire produziert wird, schafft es auf die Filmfestspiele von Venedig und wird mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Bis zu Sterns Tod 1969 entsteht ein herausragendes Gesamtwerk mit etwa 500 Arbeiten. Das Bild Emmas Türe (1956), das die Betrachter:innen in die ländliche Idylle der Apfelernte führt, hing an Sterns Zimmertür. Es zeigt einen Blick zurück in die Ferne der Erinnerung und ebenso den prägnanten Stil einer Künstlerin, deren Leben fernab jedes Idylls, jeder vermeintlich naiven Sehnsucht verlief.
Die Ausstellung zeigt neben Emmas Türe sechs weitere Werke der Künstlerin aus der Sammlung Zander sowie den Film von Liliane de Kermadec.
Emma Stern zählt zu den wenigen Künstlerinnen der Sammlung Zander. Charlotte Zander stellte ihre Werke 1976, 1987 und 1990 in ihrer Münchener Galerie Charlotte und regelmäßig auf Messen wie der Art Cologne oder der Art Basel aus. Von 1996 bis 2020 waren ihre Werke in der permanenten Ausstellung im Museum Charlotte Zander im Schloss Bönnigheim zu sehen.
Wir danken Anne de Kermadec und Sarah Moon herzlich für die Möglichkeit, den Film während der Ausstellung zeigen zu dürfen.
Sammlung Zander gGmbH
Jülicher Str. 24a
50674 Köln